Mittwoch, 3. Oktober 2012

Regentraurigkeit


Wenn es regnet, denke ich an die Menschen in der Villa.
An die Häuser in den Armenvierteln. Wo die Menschen oft nur verrostetes Wellblech um sich herum haben. Und daran, wie diese Hütten am Rio stehen. Bald werden sie einen Zeh ins Wasser strecken, um die Temperatur zu fühlen, um dann bis zu den Knien hineinzuwaten. Das Wasser wird ins Haus laufen. Alles wird nass werden. Schon wieder. Immer wieder. Die Wäsche, die gerade im Rio gewaschen wurde und zum Trocknen auf der Leine hängt, gibt dem Fluss erneut die Hand. Auch wenn sie auf dem Dach aufgehängt wurde, wird sie vom Regen trotzdem wieder nass, so dass das Wasser aus den Stoffen rinnt, als würden sie bittere Tränen weinen.
Weinen um das Los der Menschen in diesen Häusern.
Weinen darum, dass die meist sowieso schon so gebeutelten und zerrütteten Familien, die ja schon genug Probleme haben, noch eine Schwierigkeit mehr zu bewältigen haben.
Aber das macht ja nichts. Das sind sie ja gewöhnt. Sie müssen ja sowieso im Winter frieren. Was macht es da schon aus, dass sie jetzt auch keine trockenen Füße und Kleider mehr haben?
Alles.
Im Leben dieser Menschen... Alles.
Es gibt berühmte, angesehene Menschen, die einmal gesagt haben: Das Glück eines Menschen hängt nicht davon ab, wie viel er besitzt, sondern davon, was er aus seinem Leben macht.
Aber wie kann ein Mensch in diesem Sinne Glück erlangen, wenn er nicht mal sicher trockenen Fußes durch sein Haus gehen kann? Wenn er ständig mit Krankheiten zu kämpfen hat, weil das Immunsystem von der harten Kälte im Winter und der unerbitterlich brennenden Sonne im Sommer so angegriffen ist, dass er sich so fühlen muss, als würde ihn der nächste Schnupfen kalt machen.
Und da sag jetzt noch einer, dass es im Leben dieses Menschen viel Glück geben kann.
Wie kann ein Mensch glücklich sein, wenn er ständig Sorge tragen muss, sich und seine Familie irgendwie zu ernähren? Ohne Arbeit und wenn es welche gibt, in den Countrys, bei den ganz Reichen, dann so, dass er den ganzen Tag für ein paar Pesos arbeitet und Abends so spät nach Hause kommt, dass die Kinder sich um sich selbst kümmern müssen.
Wie können die Kinder glücklich sein, wenn sie wissen, dass sie immer eine geringe Chance auf Arbeit haben werden, weil sie keine oder eine schlechte Schulbildung haben. Weil sich die Lehrer nicht dafür interessieren, wie weit die Schüler zurückhängen. Oder einfach, weil sie eben aus der Villa kommen.
Wenn es regnet und immer weiter regnet, so dass in Deutschland nur ein verärgerter Blick in den Himmel geworfen wird und die Tür zum warmen, sicheren Haus wieder geschlossen wird, dann denke ich an die Menschen in ihren Hütten.
Wie sie versuchen, einen Ausweg zu finden aus dieser kalten Nässe, die ihr Leben darstellt. Und ich denke an die Häuser, wie sie immer weiter ins Wasser waten und nicht stehenbleiben, nicht stehenbleiben dürfen, obwohl sie alle nicht schwimmen können.

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