Ich komme unter der Woche entweder um
9:30 oder um 12:30 ins Projekt.
Im Turno Manjana (Morgen) sind zwischen
einem und sechs Jugendliche da. Am Freitag war zum Beispiel nur einer
da, also haben wir uns zusammengesetzt und Kaffe getrunken und Kekse
gegessen. Die Unterhaltung habe ich relativ gut verstanden, ab und zu
hat Matías mir einiges langsam erklärt. Wenn mehrere Jugendliche da
sind, wird Hausaufgabenhilfe gemacht und wenn diese z.B. nur Chemie
betreffen, helfe ich Isabel in der Küche.
Dann wird um 12 gegessen. Darauf folgt
ein weiteres Essen, aber mit dem Turno Tarde (spät). Wenn man also
noch Hunger hat, kann man ohne Probleme zweimal essen.
Mit dem Turno Tarde werden dann
verschiedene Aktivitäten gemacht: Gesellschafts-/Brettspiele
spielen, Basteln, Malen, Draußen toben, Hausaufgabenhilfe und
Ausflüge. An unserem ersten Tag waren wir in einer Art Zoo, gestern
waren wir im Club Alemán. Das ist ein riesiges Sportgelände, mit
Spielplatz, riesigen Wiesen, Schwimmbecken, Sprüngtürmen, Laufbahn
und Fußballtoren. Dieses Gelände wurde von einer deutschen
Vereinigung „errichtet“.
Auf dem Weg dorthin sind mir mal wieder
die vielen freilaufenden Hunde aufgefallen. Da hier auch keine Hunde
kastriert und sterilisiert werden, wenn sie keinem gehören,
vermehren sie sich munter untereinander.
So habe ich zum Beispiel einen Hund
gesehen, der aussah, wie ein Fabelwesen. Der Körper weiß und mit
langem Fell, ähnlich einem Pudel. Der Kopf sah aus wie von einem
Pitbull oder etwas in der Art. Der Schwanz war lang und struppig, wie
bei einem Collie. Und um das ganze abzurunden, waren die Beine
einfach irgendwie zu kurz geraten, Dackelbeine also. Übrigens gibt
es viele Hunde in der Villa, deren eines Elternteil wohl ein Dackel
war. Wenn ich den Hund mal wiedersehe und eine Kamera dabeihabe, dann
mache ich mal ein Foto.
Die Kinder in der Einrichtung sind
eigentlich alle lieber als erwartet. Wir haben kein richtiges
Problemkind, dass nur aggressiv ist und um sich schlägt. Ein Junge
ist ein wenig anstrengender, weil er selten hört und gewaltbereiter
ist, als die anderen aber ansonsten sind sie recht lieb. Generell
sind die Kinder, wenn sie begeistert sind entweder sehr laut oder
leise. Gestern haben sie mit so viel Herzblut Gesellschaftsspiele
gespielt, dass ich ziemliche Kopfschmerzen bekommen habe und heute
Abend sehr fertig bin. Ein andermal haben wir eine Dokumentation über
die Dekadenz des Schulwesens in Amerika geschaut. Die Jugendlichen
waren so gebannt, dass sie mucksmäuschenstill waren.
Wir haben außerdem noch eine
17-jährige, die ein klein wenig behindert scheint. Keiner weiß es
sicher, aber ein klein wenig merkt man es doch. Sie ist ein wenig
kindisch und versteht nicht alles sofort. Außerdem schielt sie, was
den Eindruck noch stark unterstreicht. Aber sie ist so super lieb und
in anderen Belangen wieder so erwachsen, dass die Behinderung
eigentlich kaum auffällt.
Dann ist immer um 17:00 die Merienda
dran. Es gibt Saft (aus Pulver und super süß) oder Tee (super süß,
ebenfalls) und Kekse. Nach einem anstrengenden Tag stärken die Kekse
mehr, als man eventuell denken würde. Außerdem sind sie sooooo
lecker, dass man, auch, wenn man es sich anders vornimmt, tüchtig
zulangt.
Die An- und Abreise dauert immer 1 ¼
Stunden. Das ist zwar lang, aber man gewöhnt sich daran und kann die
Zeit prima zum Abschalten nutzen. Ich habe innerhalb von einer Woche
Oliver Twist gelesen, was ja auch nicht sehr dünn ist. Man hat mal
Zeit für sich, was in der WG eben einfach nicht passiert. Was –
nebenbeibemerkt – auch nicht weiter schlimm ist.
Total genial ist außerdem, dass wir
unten im Gemeindesaal eine ganze Bibliothek an Büchern haben, die
wir uns kostenlos ausleihen dürfen (unter der Vorraussetzung
natürlich, dass wir sie zurückbringen). Die Auswahl erstreckt sich
von Kinderbüchern über Romane und Krimis bis hin zu alter, guter,
klassischer Literatur. Es stehen fast sämtliche Werke Goethes,
Kants, Shakespears, Heines, Schillers und Kleißts im Regal. Alles in
dicken Bänden, die oft noch mit Gold verziert sind. Desweiteren gibt
es Dante, Homer, Albert Schweizer, Darwin und Oscar Wilde.
Obwohl sie
alle prächtig aussehen und in ihrer Vielzahl um so beeindruckender
erscheinen, sind sie wohl nicht mehr so viel wert. Es gibt jeden
Monat einen Bücherflohmarkt, wo die Bücher für umgerechnet 2 - 6
Euro verkauft werden. Ich bin jetzt mit Oliver Twist durch, habe
schon mit “Die Schatzinsel“ angefangen und freue mich darauf, die
ganzen alten Schinken zu lesen, was ja bekanntlich mehr Spaß macht,
wenn man dieser Sache nicht mehr in der Schule, sondern in der
Freizeit nachgeht.
Abends setzen wir uns schließlich
zusammen, knüpfen Bändchen und trinken Mate oder am Wochenende auch
mal Wein. Gestern haben wir damit begonnen bei Mate und Keksen „Das
Amulett“ von Conrad Ferdinand Meyer vorzulesen. Ich war als erste
an der Reihe und finde erstens das Buch spannend und zweitens ist es
super dass ich es lese, da es noch in alter deutscher Schreibweise
geschrieben ist und ich sie so lerne. Damit meine ich aber nicht die
alte Rechtschreibung, sondern die verschnörkelte Schriftart, in
welcher das s aussieht wie ein f, das y wie ein n und das B und das V
komplett gleich sind.
An den Wochenenden haben wir bisher auch immer
etwas gefunden um uns zu beschäftigen, wir gehen auf Märkte,
Einkaufen oder vorgestern waren endlich mal Nico und Jakob aus
Florida da. In unserem Wohnzimmer, was gleichzeitig mein Zimmer ist,
kann man es sich prima gemütlich machen.
Insgesamt habe ich schon eine sehr schöne Zeit im Projekt und in der WG erlebt und bin zuversichtlich, dass noch viele schöne kommen werden.
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