Dienstag, 11. September 2012

Eine Alltagsbeschreibung

Da ich nun mehr oder - wahrscheinlich doch eher - weniger im Alltag angekommen bin und es nicht jeden Tag etwas interessantes zu berichten gibt, beschreibe ich hier nun mal meinen „Alltag“, mit der verbundenen Info, dass ich nicht mehr allzu oft einen Beitrag schreiben werde. Wenn etwas interessantes passiert, schreibe ich es natürlich weiterhin.

Ich komme unter der Woche entweder um 9:30 oder um 12:30 ins Projekt.
Im Turno Manjana (Morgen) sind zwischen einem und sechs Jugendliche da. Am Freitag war zum Beispiel nur einer da, also haben wir uns zusammengesetzt und Kaffe getrunken und Kekse gegessen. Die Unterhaltung habe ich relativ gut verstanden, ab und zu hat Matías mir einiges langsam erklärt. Wenn mehrere Jugendliche da sind, wird Hausaufgabenhilfe gemacht und wenn diese z.B. nur Chemie betreffen, helfe ich Isabel in der Küche.
Dann wird um 12 gegessen. Darauf folgt ein weiteres Essen, aber mit dem Turno Tarde (spät). Wenn man also noch Hunger hat, kann man ohne Probleme zweimal essen.
Mit dem Turno Tarde werden dann verschiedene Aktivitäten gemacht: Gesellschafts-/Brettspiele spielen, Basteln, Malen, Draußen toben, Hausaufgabenhilfe und Ausflüge. An unserem ersten Tag waren wir in einer Art Zoo, gestern waren wir im Club Alemán. Das ist ein riesiges Sportgelände, mit Spielplatz, riesigen Wiesen, Schwimmbecken, Sprüngtürmen, Laufbahn und Fußballtoren. Dieses Gelände wurde von einer deutschen Vereinigung „errichtet“.
Auf dem Weg dorthin sind mir mal wieder die vielen freilaufenden Hunde aufgefallen. Da hier auch keine Hunde kastriert und sterilisiert werden, wenn sie keinem gehören, vermehren sie sich munter untereinander.
So habe ich zum Beispiel einen Hund gesehen, der aussah, wie ein Fabelwesen. Der Körper weiß und mit langem Fell, ähnlich einem Pudel. Der Kopf sah aus wie von einem Pitbull oder etwas in der Art. Der Schwanz war lang und struppig, wie bei einem Collie. Und um das ganze abzurunden, waren die Beine einfach irgendwie zu kurz geraten, Dackelbeine also. Übrigens gibt es viele Hunde in der Villa, deren eines Elternteil wohl ein Dackel war. Wenn ich den Hund mal wiedersehe und eine Kamera dabeihabe, dann mache ich mal ein Foto.
Die Kinder in der Einrichtung sind eigentlich alle lieber als erwartet. Wir haben kein richtiges Problemkind, dass nur aggressiv ist und um sich schlägt. Ein Junge ist ein wenig anstrengender, weil er selten hört und gewaltbereiter ist, als die anderen aber ansonsten sind sie recht lieb. Generell sind die Kinder, wenn sie begeistert sind entweder sehr laut oder leise. Gestern haben sie mit so viel Herzblut Gesellschaftsspiele gespielt, dass ich ziemliche Kopfschmerzen bekommen habe und heute Abend sehr fertig bin. Ein andermal haben wir eine Dokumentation über die Dekadenz des Schulwesens in Amerika geschaut. Die Jugendlichen waren so gebannt, dass sie mucksmäuschenstill waren.
Wir haben außerdem noch eine 17-jährige, die ein klein wenig behindert scheint. Keiner weiß es sicher, aber ein klein wenig merkt man es doch. Sie ist ein wenig kindisch und versteht nicht alles sofort. Außerdem schielt sie, was den Eindruck noch stark unterstreicht. Aber sie ist so super lieb und in anderen Belangen wieder so erwachsen, dass die Behinderung eigentlich kaum auffällt.
Dann ist immer um 17:00 die Merienda dran. Es gibt Saft (aus Pulver und super süß) oder Tee (super süß, ebenfalls) und Kekse. Nach einem anstrengenden Tag stärken die Kekse mehr, als man eventuell denken würde. Außerdem sind sie sooooo lecker, dass man, auch, wenn man es sich anders vornimmt, tüchtig zulangt.
Die An- und Abreise dauert immer 1 ¼ Stunden. Das ist zwar lang, aber man gewöhnt sich daran und kann die Zeit prima zum Abschalten nutzen. Ich habe innerhalb von einer Woche Oliver Twist gelesen, was ja auch nicht sehr dünn ist. Man hat mal Zeit für sich, was in der WG eben einfach nicht passiert. Was – nebenbeibemerkt – auch nicht weiter schlimm ist.
Total genial ist außerdem, dass wir unten im Gemeindesaal eine ganze Bibliothek an Büchern haben, die wir uns kostenlos ausleihen dürfen (unter der Vorraussetzung natürlich, dass wir sie zurückbringen). Die Auswahl erstreckt sich von Kinderbüchern über Romane und Krimis bis hin zu alter, guter, klassischer Literatur. Es stehen fast sämtliche Werke Goethes, Kants, Shakespears, Heines, Schillers und Kleißts im Regal. Alles in dicken Bänden, die oft noch mit Gold verziert sind. Desweiteren gibt es Dante, Homer, Albert Schweizer, Darwin und Oscar Wilde. 
Obwohl sie alle prächtig aussehen und in ihrer Vielzahl um so beeindruckender erscheinen, sind sie wohl nicht mehr so viel wert. Es gibt jeden Monat einen Bücherflohmarkt, wo die Bücher für umgerechnet 2 - 6 Euro verkauft werden. Ich bin jetzt mit Oliver Twist durch, habe schon mit “Die Schatzinsel“ angefangen und freue mich darauf, die ganzen alten Schinken zu lesen, was ja bekanntlich mehr Spaß macht, wenn man dieser Sache nicht mehr in der Schule, sondern in der Freizeit nachgeht.
Abends setzen wir uns schließlich zusammen, knüpfen Bändchen und trinken Mate oder am Wochenende auch mal Wein. Gestern haben wir damit begonnen bei Mate und Keksen „Das Amulett“ von Conrad Ferdinand Meyer vorzulesen. Ich war als erste an der Reihe und finde erstens das Buch spannend und zweitens ist es super dass ich es lese, da es noch in alter deutscher Schreibweise geschrieben ist und ich sie so lerne. Damit meine ich aber nicht die alte Rechtschreibung, sondern die verschnörkelte Schriftart, in welcher das s aussieht wie ein f, das y wie ein n und das B und das V komplett gleich sind. 
An den Wochenenden haben wir bisher auch immer etwas gefunden um uns zu beschäftigen, wir gehen auf Märkte, Einkaufen oder vorgestern waren endlich mal Nico und Jakob aus Florida da. In unserem Wohnzimmer, was gleichzeitig mein Zimmer ist, kann man es sich prima gemütlich machen.
Insgesamt habe ich schon eine sehr schöne Zeit im Projekt und in der WG erlebt und bin zuversichtlich, dass noch viele schöne kommen werden.

der Eisbär, an dem wir jeden Morgen vorbeigehen

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